Was tun bei einem Jungkatzen-Fund im Wald?

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Europäische Wildkatze oder Hauskatze? Reise-und Naturfoto – stock.adobe.com

Die beiden auf die Namen Hänsel und Gretel getauften Wildkätzchen verirrten sich nicht im Wald, sondern sie lebten dort. Bis zu dem Tag, als jemand kam und sie mit nach Hause nahm… Eine Frau, der Katzen sehr am Herzen lagen, joggte durch den Wald und hörte ein Maunzen. Sie fand zwei kleine, verwaiste Kätzchen. Die Joggerin ging davon aus, dass es sich dabei um den unerwünschten Nachwuchs einer Hauskatze handelte, dessen man sich im Wald mal schnell entledigt hatte.

Eine Verwechslung mit Folgen – die Europäische Wildkatze ist keine Hauskatze

Sie nahm sie mit zu sich nach Hause und erwartete, dass ihre eigenen Katzen die Neuankömmlinge neugierig begrüßen würden. Doch es passierte etwas Seltsames. Ihre Katzen hatten Angst vor den nur wenige Wochen alten Findlingen. Sie zogen sich zurück und wollten nichts mit den Eindringlingen zu tun haben. Auch die Finderin merkte bald, dass sie sich zwei kleine Biester in ihr Haus geholt hatte, deren Fütterung einer Raubtierfütterung glich. Sie ließen sich kaum anfassen, fauchten, spuckten und zogen sich in die hinterste Ecke ihrer provisorischen Behausung zurück. Die Frau ahnte bereits, dass es sich um keine normalen Katzen handelte, sondern um die scheuen und sehr seltenen Europäischen Wildkatzen. Eine genetische DNA-Analyse bestätigte ihren Verdacht.

Hänsel und Gretel entpuppten sich als echte Europäische Wildkatzen und mussten wieder zurück in den Wald, wo sie gefunden worden waren. Zu diesem Zeitpunkt waren sie jedoch noch zu klein, um allein zu überleben. Da es von dem Muttertier keine Spur gab, kamen sie in eine Aufzuchtstation für Wildkatzen. In dieser wurden sie artgerecht und fernab von Menschen aufgepäppelt und auf ihr späteres Leben im Wald vorbereitet.

Wildkatzen sind keine verwilderten Hauskatzen. Zwar sind Löwe, Luchs und Leopard auch wilde Katzen, aber es gibt nur eine echte Wildkatze. Vor allem in Mitteleuropa lebt die Europäische Wildkatze bevorzugt in waldreichen Lebensräumen. In Afrika bevorzugt die afrikanische Wildkatze die offenen Buschlandschaften der Savanne und in Asien findet man die Asiatische Wildkatze in den offenen Steppenlandschaften.

Der Lebensraum der Europäischen Wildkatze

Lange waren Europäische Wildkatzen in unseren Wäldern verschwunden oder nur noch sehr seltene Gäste. Nun breiten sie sich wieder aus und erobern ihre einst besiedelten Lebensräume zurück. Die Europäischen Wildkatzen findet man heutzutage wieder in vielen Teilen Deutschlands. Sie leben scheu und verborgen in den zusammenhängenden Wäldern unserer größten und ältesten Mittelgebirge. Dort fühlen sie sich inmitten eines abwechslungsreichen Mosaiks von Wald und Offenland – ausgedehnten Wäldern, tiefen Tälern und sonnenexponierten Felshängen – zuhause. Die streng geschützte Wildkatze lebt auf Grund ihrer Lebensraumansprüche hauptsächlich in Laubwäldern, seltener in reinen Nadelwaldbeständen. Sie nutzt dort Waldsäume und -ränder sowie offene Bereiche wie Lichtungen, Brachflächen und Wiesen zum Beutefang. Abgestorbene Bäume (Totholz), Wurzelteller, Felsspalten oder aufgeschichtetes Kronenholz bieten ihr genügend Versteck-, Ruhe- und Aufzuchtmöglichkeiten.

Wildkatzen ernähren sich hauptsächlich von Mäusen, am liebsten Wühl-, Wald- und Feldmäuse. Aber auch Vögel, Kaninchen, Frösche, Eidechsen und Insekten stehen auf ihrem Speiseplan. Mittlerweile findet man das anpassungsfähige Wildtier auch außerhalb der großen Waldgebiete vor. Durch neue Erkenntnisse von Telemetriestudien weiß man, dass sie auch in einer landwirtschaftlich geprägten Kulturlandschaft vorkommen können und sich dort, wo strukturreiche Feldgehölze vorhanden sind, sogar fortzupflanzen vermögen.

Um Europäischen Wildkatzen ihre Streifzüge und insbesondere die Eroberung neuer, unbesiedelter Waldgebiete zu ermöglichen, benötigen sie ein Mindestmaß linearer und flächiger Strukturelemente im Offenland. Sie sollten die Fortbewegung in Deckung erlauben und gleichermaßen ungestörte Ruheplätze bieten. Die Strukturarmut im Offenland aufgrund fehlender Feldgehölze, Hecken, Acker- und Gewässersäume kann langfristig zum Verlust und zur Isolation von Lebensräumen dieser seltenen Art führen.

Nach heutigem Kenntnisstand halten sich Europäische Wildkatzen nicht in Siedlungen auf. Allerdings können sie in direkt angrenzenden Waldflächen vorkommen, so dass man eigentlich fast überall mit Wildkatzen rechnen kann.

Die Europäische Wildkatze erkennen: Unterschiede von Wildkatzen und getigerten Hauskatzen

Europäische Wildkatzen sind sehr leicht mit getigerten Hauskatzen zu verwechseln. Es gibt Katzen, die aufgrund ihrer Fellmerkmale einer Wildkatze sehr ähnlichsehen können. Gleichzeitig gibt es auch untypische Wildkatzen, die leicht mit einer Hauskatze zu verwechseln sind.

Typische Fellmerkmale einer Europäischen Wildkatze sind:

  • Der dicke, buschige und geringelte Schwanz, der am schwarzen Schwanzende stumpf endet.
  • Das Fell der Wildkatze ist an den Flanken verwaschen, eine Tigerung ist nur noch leicht erkennbar.
  • Das Fell besitzt einen ockerfarbenen bis grau-gelblichen Grundton.
  • Auf dem Rücken zieht sich bis zur Schwanzwurzel ein einzelner, dunkler Aalstrich.
  • Auf der Bauchseite findet man schwarze Punkte oder Streifen, sowie weiße Flecken im Kehl- und Brustbereich.
  • Die Europäische Wildkatze ist genauso groß wie die Hauskatze, wirkt aufgrund ihres Fells allerdings gedrungener.
  • Der Nasenspiegel ist dunkel rosa und nicht pigmentiert
  • Die Sohle ist etwa bis zur Hälfte schwarz gefärbt, was als Nehring‘scher Fersenfleck bezeichnet wird (Allerdings ist dies kein sicheres Unterscheidungsmerkmal, denn einige Rassekatzen unter den Hauskatzen tragen das gleiche Merkmal. Und auch einige Wildkatzen weisen komplett schwarzgefärbte Sohlen vor)

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Die genetische Analyse bestätigte, es sind Hauskatzen. (© Sabrina Streif)

Beide Katzenarten haben in ihren ersten Lebenswochen ein stark getigertes Fellmuster, wodurch vor allem junge Wildkatzen kaum von kleinen getigerten Hauskätzchen zu unterscheiden sind. Der Schwanz der Wildkatze ist zu diesem Zeitpunkt noch dünn und spitz, er wird erst im Alter von ein paar Monaten buschiger mit stumpfer, schwarzer Schwanzspitze und schwarzen Ringeln. Das aggressive Verhalten ist jedoch ein sehr gutes Indiz, eine junge Wildkatze zu erkennen. Außerdem sehen alle Tiere eines Wildkatzenwurfes identisch aus.

Aufgrund der Verwechslungsmöglichkeit mit Hauskatzen gelten Wildkatzennachweise erst als sicher, wenn sie entweder genetisch oder morphometrisch (z. B. Darmlänge) überprüft wurden.

Wildkatzen-Findling im Wald – was ist zu beachten?

Die Geschichte von Hänsel und Gretel, den beiden Wildkatzen-Findelkindern aus Baden-Württemberg, ist kein Einzelfall. Während der Jungenaufzucht zwischen April und Oktober werden immer wieder junge Wildkatzen für verwilderte Hauskatzen gehalten und zum Aufpäppeln mit nach Hause genommen. Meist befinden sich die so genannten Gehecke abseits der Wege in Reisighaufen, liegendem Totholz oder auch in Baumhöhlen. Es ist für die kleinen Wildkatzen völlig normal, im Wald versteckt zu warten, bis ihre Mutter mit Nahrung zurückkehrt. Da der Verbleib des Muttertiers häufig unbekannt ist, können die Kätzchen, einmal mitgenommen, selten zurückgebracht werden. Die Fundumstände sind sehr unterschiedlich. In den meisten Fällen gehen die Finder davon aus, es handle sich um ausgesetzte Hauskätzchen. Es kann durchaus vorkommen, dass die Jungen tatsächlich verwaist sind, beispielsweise wenn die Mutterkatze durch den Straßenverkehr den Tod fand oder sie aufgrund anderer Umstände zurückgelassen wurden. Doch auch dann sollte man die Katzen-Findelkinder erstmal vor Ort lassen und den zuständigen Förster informieren. Ebenfalls wurden Wildkatzen schon im Rahmen von organisierten Kastrationsaktionen verwilderter Hauskatzen entdeckt. Gerade dann ist es enorm wichtig, die „falsche“ Katze zu erkennen und keine Kastration durchzuführen.

Bei Wildkatzen-Findlingen handelt es sich meist um mehrere Wochen alte Tiere, die noch nicht selbstständig überlebensfähig sind und entsprechend in eine professionelle Aufzucht gegeben werden müssen. Um eine artgerechte Aufzucht und eine anschließende Wiederauswilderung der streng geschützten Art zu ermöglichen, sollten die Tiere in dafür vorgesehenen Auffangstationen untergebracht werden.

die wildkatze bleibt ihr leben lang scheu und verhaelt sich sehr aggressiv gegenueber menschen

Die Wildkatze bleibt ihr Leben lang scheu und verhält sich sehr aggressiv gegenüber Menschen. (© Sabrina Streif)

Maßnahmen bei versehentlicher Mitnahme eines Wildkatzen-Jungtieres

Sollte ein Wildkätzchen versehentlich aus dem Wald mitgenommen worden sein, fallen diese „Findelkinder“ schnell durch ihr aggressives Verhalten auf. Besteht der Verdacht auf eine Wildkatze, muss schnell gehandelt werden.

Je nach Alter und Gesundheitszustand müssen unterschiedliche Maßnahmen ergriffen werden:

  • Das Jungtier darf nicht in Kontakt mit Hauskatzen gebracht werden. Krankheiten oder Parasiten können übertragen werden.
  • Für ein nur wenige Wochen altes Wildtier bedeutet der Kontakt zum Menschen sehr viel Stress, den es unbedingt zu vermeiden gilt. Eine Einzelunterbringung mit dunklem Rückzugsort ist ratsam. Unterkühlten Findlingen kann Wärme mit Hilfe einer Wärmflasche angeboten werden.
  • Anhand von Fotos (Rücken, Schwanz, Flanken und Gesicht) kann von einem Experten eingeschätzt werden, ob der Wildkatzenverdacht gerechtfertigt ist. Je nach Land und Wohnort müssen die zuständigen Ansprechpersonen informiert werden.
  • Für eine genetische Analyse ist entweder eine Blut- oder Haarprobe notwendig. Hilfe bei der Probennahme bieten Tierarztpraxen.
  • Das Kätzchen darf nicht mit Katzenfutter gefüttert werden, sondern mit Rindfleisch oder Wildfleisch, Mäusen oder Eintagsküken (gibt es in Wildparks, Zoos oder Tierhandlungen).
  • Sehr junge Katzenbabys müssen mit spezieller Katzenaufzuchtmilch versorgt werden!
  • Um das Fundtier später wieder an seinem Fundort auswildern zu können (Auswilderung ist nur mit behördlicher Genehmigung möglich), muss es in einer dafür ausgestatteten Aufzuchtstation untergebracht werden. Nur so kann eine artgerechte und menschenferne Haltung ermöglicht werden.

Mein Rat an Tierfreunde: Falls Sie Katzenkinder in der Natur finden, lassen Sie sie an Ort und Stelle und informieren Sie das zuständige Forstamt, die Wildhut, einen Jäger oder eine Jägerin. Diese können mit Hilfe von Wildkameras die Jungtiere beobachten. Erst wenn ausgeschlossen ist, dass sie noch von der Mutter versorgt werden, ist menschliches Eingreifen gerechtfertigt.

autorin sabrina streif

Sabrina Streif

Die Diplom-Biologin Sabrina Streif arbeitet in Freiburg bei der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg, Abteilung Wald und Gesellschaft, im Bereich der Wildtierökologie und hat sich mit ihren Forschungen ganz dieser Thematik verschrieben. Einem breiteren Publikum wurde sie bekannt durch TV-Dokumentation „Das geheime Leben der Hauskatze“. Mehrere eigene Forschungsprojekte zur Ökologie und Ethologie verschiedener Katzenrassen und dem „Wildtier“ Katze wurden von Streif durchgeführt. Dabei erlangte die Wildkatze ihr besonderes Interesse: Intensiv „wirbt“ sie für deren Wiederansiedelung in unserer Landschaft und leistet im Bereich des Wildtiermanagements wichtige Aufklärungsarbeit über die Lebens- und Verhaltensweisen der Wildkatze gegenüber den verschiedenen betroffenen Interessengruppen (wie den Jägern, den Nutztierhaltern oder den Umwelt-, Natur- und Tierschützern).

Neben ihrer Tätigkeit als Wildtierökologin arbeitet Sabrina Streif seit geraumer Zeit als Autorin für die ATN auf dem Gebiet der Ökologie und Ethologie der Wild- und Hauskatze. Streifs stupende Kenntnisse auf diesen Feldern, ihre große Praxisnähe verbunden mit der Anwendung neuester wissenschaftlicher Methoden – wie Wildtiermonitoring, Videografie, aber auch Einsätze von Wildtierspürhunden – machen sie zu einer geschätzten Autorin, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in ihren Beiträgen gleichermaßen praxisorientiert wie spannend und gut lesbar zu vermitteln und die Leute wie du und ich in ihre Forschungen und Projekte einzubeziehen.

Sie ist Autorin des Buchs „Wildkatzen – Rückkehr in unsere Wälder“ (2018).

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